Gott ist furchtbar

Das kann man leicht falsch verstehen, weil wir mit "furchtbar" nur Dinge bezeichnen, die schlecht gemacht sind oder tragisch oder grässlich aussehen oder völlig durcheinander und unordentlich sind. Im biblischen Sprachgebrauch kann diese Bezeichnung etwas völlig anderes bedeuten. 
Angefangen hat alles, als ich mir zum Thema Ehrfurcht Gedanken machte und beim Lesen von 2. Mose 19 und 20 auf eine auf den ersten Blick widersprüchliche Textstelle gestoßen bin:

„Und es geschah am dritten Tag, als es Morgen wurde, da brachen Donner und Blitze los, und eine schwere Wolke lagerte auf dem Berg, und ein sehr starker Hörnerschall ertönte, so dass das ganze Volk, das im Lager war, bebte. Mose aber führte das Volk aus dem Lager hinaus, Gott entgegen, und sie stellten sich am Fuß des Berges auf. Und der ganze Berg Sinai rauchte, weil der HERR im Feuer auf ihn herabkam. Und sein Rauch stieg auf wie der Rauch eines Schmelzofens, und der ganze Berg erbebte heftig.“ 2.Mose 19,16-18
 
„Und das ganze Volk nahm den Donner wahr, die Flammen, den Hörnerschall und den rauchenden Berg. Als nun das Volk das wahrnahm, zitterten sie, blieben von ferne stehen und sagten zu Mose: Rede du mit uns, dann wollen wir hören! Aber Gott soll nicht mit uns reden, damit wir nicht sterben. Da sagte Mose zum Volk: Fürchtet euch nicht! Denn nur um euch zu prüfen, ist Gott gekommen, und damit die Furcht vor ihm euch vor Augen sei, damit ihr nicht sündigt.“ 2.Mose 20,18-20

Folgendes ist festzuhalten: Als Gott auf den Berg Sinai herabkam, war sein Erscheinen so gewaltig, dass die Israeliten fürchteten, zu sterben. Mose versucht sie mit der berühmten Phrase „Fürchtet euch nicht!“ zu beruhigen. Aber schon im nächsten Satz sagt er, dass Gott gekommen ist, damit die Furcht vor Gott den Israeliten „vor Augen sei“, damit sie nicht sündigen. Sollen sie sich jetzt fürchten oder nicht? Man könnte meinen, dass das ein Widerspruch ist.

Aus einigen Stellen (1.Mose 43,23; Richter 4,18; Rut 3,11; 1.Samuel 4,20; Jeremia 40,9) kann man erkennen, dass sich die Aufforderung „Fürchte dich nicht“ immer gegen die menschliche Angst richtet; das kann Angst vor Gefangennahme, Strafe, Tod, Verfolgung, etc. sein. Im Fall von 2. Mose fürchteten die Israeliten zu sterben und Mose erklärt ihnen, dass Gott nicht gekommen ist, ihnen etwas anzutun, sondern um sie zu prüfen.

Was aber bedeutet die Furcht vor Gott vor Augen zu haben? Was bedeutet es Gott zu fürchten und wozu ist es gut, Ihn zu fürchten? Ich will das anhand einiger Bibelstellen verdeutlichen:

„Da erwachte Jakob aus seinem Schlaf und sagte: Fürwahr, der HERR ist an dieser Stätte, und ich habe es nicht erkannt! Und er fürchtete sich und sagte: Wie furchtbar ist diese Stätte! Dies ist nichts anderes als das Haus Gottes und dies die Pforte des Himmels.“ 1.Mose 28,17

„Da erschien ihm der Engel des HERRN in einer Feuerflamme mitten aus dem Dornbusch. Und er sah hin, und siehe, der Dornbusch brannte im Feuer, und der Dornbusch wurde nicht verzehrt. Und Mose sagte sich: Ich will doch hinzutreten und diese große Erscheinung sehen, warum der Dornbusch nicht verbrennt. Als aber der HERR sah, dass er herzutrat, um zu sehen, da rief ihm Gott mitten aus dem Dornbusch zu und sprach: Mose! Mose! Er antwortete: Hier bin ich. Und er sprach: Tritt nicht näher heran! Zieh deine Sandalen von deinen Füßen, denn die Stätte, auf der du stehst, ist heiliger Boden! Dann sprach er: Ich bin der Gott deines Vaters, der Gott Abrahams, der Gott Isaaks und der Gott Jakobs. Da verhüllte Mose sein Gesicht, denn er fürchtete sich, Gott anzuschauen.“ 2.Mose 3,2-6

Hier wird nichts davon erwähnt, dass Jakob oder Mose bei ihrer Begegnung mit Gott Furcht vor Tod oder etwas anderem hatten. Es heißt hier, dass Jakob sich vor der Stätte, in der sich Gott aufgehalten hatte, fürchtete und dass sich Mose fürchtete, Gott anzuschauen. Ich denke, dass es die Gewalt Gottes war, sein Wesen und seine Heiligkeit, seine Herrlichkeit, seine Güte, die sie vor Gott erschaudern ließen. „Wie furchtbar ist diese Stätte! Dies ist nichts anderes als das Haus Gottes und dies die Pforte des Himmels.“ Dieser Gedanke wird vor allem in den Psalmen oft aufgegriffen, in denen Gott und seine Werke oft als furchtbar bezeichnet werden:

„Glücklich, den du erwählst und nahen lässt, dass er wohne in deinen Vorhöfen! Wir werden gesättigt werden mit dem Gut deines Hauses, dem Heiligen deines Tempels. Du wirst uns furchtbare Dinge in Gerechtigkeit antworten, Gott unseres Heils, du Zuversicht aller Enden der Erde und des fernen Meeres, der die Berge festigt durch seine Kraft, umgürtet ist mit Macht, der das Brausen der Meere besänftigt, das Brausen ihrer Wellen und das Getümmel der Völker.“ Psalm 65,5-8

„Besingt die Herrlichkeit seines Namens, macht herrlich sein Lob! Sprecht zu Gott: Wie furchtbar sind deine Werke! Wegen der Größe deiner Macht werden dir deine Feinde Ergebung heucheln. Die ganze Erde wird dich anbeten und dir Psalmen singen; sie wird deinen Namen besingen. Kommt und seht die Großtaten Gottes! Furchtbar ist sein Tun gegenüber den Menschenkindern.“ Psalm 66,2-5

„Du, du bist furchtbar, und wer kann vor dir bestehen, sobald du zürnst! Du ließest Gericht hören vom Himmel her. Die Erde fürchtete sich und wurde stille, als Gott aufstand zum Gericht, um zu retten alle Demütigen auf Erden. Denn selbst der Grimm des Menschen wird dich preisen; auch noch mit dem Rest des Grimmes wirst du dich gürten. Sprecht Gelübde und erfüllt sie dem HERRN, eurem Gott, alle, die ihr rings um ihn her seid. Bringt Geschenke dem Furchtbaren! Er demütigt den Geist der Fürsten, er ist furchtbar den Königen der Erde.“ Psalm 76,8-13

„Denn wer in den Wolken ist mit dem HERRN zu vergleichen? Wer ist dem HERRN gleich unter den Göttersöhnen? Gott ist gefürchtet im Kreis der Heiligen, groß ist er und furchtbar über alle, die rings um ihn her sind.“ Psalm 89,7.8

Die Furcht vor Gott vor Augen zu haben, hat nichts mit Angst zu tun. Furcht ist nicht in der Liebe, sondern die vollkommene Liebe treibt die Furcht aus, denn die Furcht hat es mit Strafe zu tun. Wer sich aber fürchtet, ist nicht vollendet in der Liebe.“ 1.Johannes 4,18

Furcht vor Gott zu haben, bedeutet, angesichts seiner Macht, Gegenwart und Offenbarung zu erschaudern, es bedeutet, von seinen Werken in der Schöpfung überwältigt zu sein. Wer Gottes Herrlichkeit erkannt hat, hat einen guten Grund gefunden, nicht mehr zu sündigen. Er wird anfangen, ein Leben zu leben, dass Ihm gefällt. Er wird Gott anbeten.

„Fürchtet euch nicht! Denn nur um euch zu prüfen, ist Gott gekommen, und damit die Furcht vor ihm euch vor Augen sei, damit ihr nicht sündigt.“