The hour I first believed (1)

Wenn ich genauer darüber nachdenke, ist meine Familie ganz schön zerbrechlich und zerbrochen. Meine Eltern heirateten, als meine Mutter noch gar nicht entschieden war, Christus nachzufolgen. Selbst dann, als sie sich bekehrte, wurde bei uns zu Hause nie über den Glauben geredet, bis ihre Ehe, aufgrund des Alkoholismus' meines Vaters und der tiefen Verletzungen und Kränkungen meiner Mutter aus ihrer Kindheit, zerbrach und sie sich schließlich scheiden ließen. Damals waren meine Schwester und ich ungefähr sieben bzw. fünf Jahre alt. Den Vater meiner Mutter habe ich als sehr zurückgezogen und verschlossen in Erinnerung, der nach dem zweiten Weltkrieg vielleicht nie richtig ins Leben zurück gefunden hatte. Ich musste um die dreizehn oder vierzehn Jahre alt gewesen sein, als er während eines Krankenhausaufenthaltes vom Balkon sprang und sich das Leben nahm. Meine Schwester kämpft noch immer mit seelischen Wunden, die sich im Laufe ihres Lebens angesammelt haben und versucht ihrem Leben Sinn durch ein Gefühl zu verleihen, das sie mit allem Möglichen herbeizuführen versucht: LSD, Meditation, östliche Philosophie, DMT u.a. 
Und ich selbst? Ich weiß noch, wie ich mit fünfzehn bei Nacht und in völliger Isolation in meinem Bett lag und das Fenster anstarrte und mir dachte: So muss sich die Hölle anfühlen. Mit 18 Jahren schrieb ich eine Kurzgeschichte mit dem Titel "Fragmente eines Verlorenen" (ich habe noch 11 gebundene Exemplare davon zu Hause: Bestellung ist also möglich) - eine ziemlich traurige Geschichte über einen Wissenschaftstheoretiker, der keinen Grund findet, an etwas festzuhalten und zu glauben, der kein Ziel hat und mit seinen Gedanken kämpft. In Wahrheit war diese Geschichte, als ich sie schrieb, ein Spiegelbild meiner Seele gewesen. Ich kenne das Gefühl totaler Einsamkeit und tiefer Verlassenheit. Dieses Gefühl verfolgte mich bis ins Jahr 2013. Kann ein Mensch Gottes Liebe verstehen, der von seinen Gefühlen gepeinigt wird?

2013

Ende April, 23.00 Uhr: Auf dem Weg von Hagenbrunn nach Hause kniete ich erschüttert zwischen den Feldern und bat Gott um Weisheit und eine Richtung, in die ich gehen konnte.
Am 12. Mai las ich Jeremia 2, 13 und 19b und verstand: ich hatte mich Gott nicht zugewandt, er war mir ein Fremder und ich verbrachte meine Tage auch weiterhin in Verlassenheit. Ich musste mich Ihm zuwenden, um aus dieser Sackgasse herausgerissen werden zu können:
Denn zweifach Böses hat mein Volk begangen: Mich, die Quelle lebendigen Wassers, haben sie verlassen, um sich Zisternen auszuhauen, rissige Zisternen, die das Wasser nicht halten.
Erkenne doch und sieh, dass es schlimm und bitter ist, wenn du den HERRN, deinen Gott, verlässt und wenn bei dir keine Furcht vor mir ist!, spricht der Herr, der HERR der Heerscharen


Ich gab mich nicht damit zufrieden, dass ich Gottes Liebe nicht begreifen konnte - ich fand mich nicht damit ab, dass Er mir ein Fremder war. Mein Blick kannte den Ort nicht, an dem Gottes Liebe war. Ich sah nur die Härte meines Herzens, meine Kälte und Zurückgezogenheit, die Verletzungen die in mir wimmelten und die ich niemandem zeigen wollte, aus Angst und Enttäuschung. Ich war wie jemand, der das Leben nicht kannte, der das Leben treffen wollte, der das tiefe Drängen verspürte, einen Schatz bergen zu müssen: Gottes Liebe. Ich wusste, dass Gottes Liebe nicht bloß Theorie war und wollte zu Gott durchdringen:

Schmecket und sehet, wie freundlich der HERR ist. Wohl dem, der auf ihn trauet! - Psalm 34, 9

Am 7. November sprach ich ein entschlossenes Gebet:
Ich möchte, dass Du mit Macht und furchtbarem Gedonner in mein Leben eindringst, damit ich vor Dir zittere. Denn anders scheine ich keine Ehrfurcht vor Dir zu begreifen. Die Festung um mein Herz muss erobert und zerschlagen werden.

Zu dieser Zeit schrieb ich einige Sprüche:
Wer sich selbst bedauert, erblindet, und auf Dauer nimmt das Bedauern kein Ende // Vergiss nie, wie unbeschwert und fröhlich ein junger Mensch im Grunde seines Herzens ist, denn diese Leichtigkeit ist das ungetrübte Geschenk Gottes an seine Kinder // Es gibt keinen größeren Gewinn, als für Gott alles aufzugeben, weil es keine größere Liebe als die Liebe Gottes gibt // Die ganze Schöpfung ist auf Gott ausgerichtet, weil Er die ganze Schöpfung auf sich ausgerichtet hat, damit sein Name in Ewigkeit verherrlicht wird


Trotzdem hatte die Wahrheit dieser Sprüche mein Herz noch nicht erreicht. An manchen Tagen packte mich tiefe Niedergeschlagenheit, die so stark war, dass ich fürchtete, den Glauben aus Enttäuschung und eigenem Unfrieden einmal aufzugeben, dass ich dann mit Nietzsche sagen würde:

Die Welt - ein Tor
Zu tausend Wüsten stumm und kalt!
Wer das verlor,
Was du verlorst, macht nirgends Halt.
[...]
Weh dem, der keine Heimat hat!
(Friedrich Nietzsche, Ausschnitt aus "Vereinsamt") 

 ... Fortsetzung folgt