Gnade versus Unzulänglichkeit (3.1)

Und er sprach zu mir: Daniel, du vielgeliebter Mann! Achte auf die Worte, die ich zu dir rede, und steh an deinem Platz! Denn ich bin jetzt zu dir gesandt. Und als er dieses Wort mit mir redete, stand ich zitternd auf. Und er sprach zu mir: Fürchte dich nicht, Daniel! Denn vom ersten Tag an, als du dein Herz darauf gerichtet hast, Verständnis zu erlangen und dich vor deinem Gott zu demütigen, sind deine Worte erhört worden. Und um deiner Worte willen bin ich gekommen.
Daniel 10, 11.12

Letzte Woche hatte ich einen ziemlich interessanten Alptraum:
Während eines Ausfluges mit ein paar mir unbekannten Bekannten (kann schon mal vor kommen in einem Traum) finden wir einen See und gehen schwimmen. Während wir schwimmen, treiben zwei kleine Klumpen im Wasser vorbei, die ich aus dem Wasser fische, um sie genauer anzusehen und halte plötzlich zwei abgetrennte Füße in der Hand, die noch bluten. Erschrocken werfe ich sie weg. Irgendetwas hat vor Kurzem jemandem die Füße abgetrennt, irgendetwas im See. Wir schwimmen zu einer kleinen Insel, ein paar Schritte vom Ufer entfernt. Plötzlich nähert sich ein Mann der Insel, während er ständig diese Frage stellt: "Hat jemand versagt?" Er kommt schnell näher, die Frage gierig wiederholend: "Hat jemand versagt? Hat jemand versagt?" Er ist auf der Jagd nach einem Versager. Ich bekomme Angst, weil ich weiß, dass er es auf mich abgesehen hat. Er wittert meine Angst. Er ist begierig von meiner Versagensangst angezogen und will mich meucheln und mir meine Füße abtrennen. In meiner Panik springe ich ans Ufer. "Hat jemand versagt?" Er steht im Wasser mit einem Messer in der Hand, aber er kommt nicht ans Ufer. Erst jetzt, außerhalb des Wassers, gestehe ich mir ein, versagt zu haben. Dann bin ich unter heftigem Atmen aufgewacht.

Es gibt Dinge, die unschätzbar wichtig sind, aber über die fast nie geredet wird. Vielleicht weil sich nie eine Gelegenheit dazu bietet. Oder weil man nie auf die Idee kommen würde, über solche Dinge zu reden, ohne gefragt zu werden. Oder weil sie so ungewöhnlich oder kompliziert sind, dass sie in einem gewöhnlichen Gespräch nie zum Thema werden würden. Oder weil man sie so tief in sich verschlossen hat, dass man selbst nichts davon weiß - und daran leidet man oft.
    Eines dieser Dinge ist Unzulänglichkeit. Natürlich wäre es furchtbar deprimierend, wenn alle Menschen nur noch darüber reden würden, in welchen Momenten sie versagt haben. Auf der anderen Seite betrifft dieses Thema alle Menschen: Es ist unsere gefallene Natur, die uns unfähig macht, andere Menschen zu lieben. Es ist einer dieser harten Fakten, über die man fast nie redet; vielleicht, weil wir nicht wissen, wie wir mit dieser Unzulänglichkeit umgehen sollen. Das Schweigen macht es oft sehr schwer für Menschen, die von der Angst zu scheitern gelähmt sind, ein offenes Ohr zu finden. 


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Ich verwechsle oft Vorsicht und Besonnenheit mit meiner Angst zu versagen. Ich bin manchmal so übervorsichtig, dass es mich lähmt, und das richtet oft viel mehr Schaden an, den ich anrichten hätte können, wenn ich etwas getan hätte. Ziemlich absurd, nicht? Stell dir vor, was passiert wäre, wenn Adam in dem Moment, als Eva von der Schlange versucht wurde, eingegriffen hätte. Wovor also habe ich eigentlich Angst? Ich habe Angst, dass meine Unzulänglichkeit von allen entdeckt werden könnte. Und was würde dann passieren? Deswegen verberge ich meine Unfähigkeiten mit meinen Fähigkeiten. Nur Einem kann ich damit nichts vormachen. Warum also trete ich nicht vor Gott und stelle mich meinem Versagen als Mensch? Weil ich nicht den Mut habe, vor Ihn zu treten. Warum also habe ich nicht den Mut? Weil ich Gott nicht kenne. Würde ich Ihn kennen und seine Reaktion auf mein Versagen, dann könnte Er mir einen neuen Weg zeigen und ich müsste nicht mehr Angst haben, zu scheitern.

Wir kennen wahrscheinlich alle das Gleichnis vom faulen Knecht, dem ein Talent (ca. 25 kg) Silber bzw. Gold anvertraut wird, und das uns nicht gerade sehr viel Mut macht, wenn wir die letzten Verse lesen:

Dann kam der Diener mit dem einen Beutel Gold und sagte: `Herr, ich weiß, du bist ein strenger Mann, der erntet, was er nicht gepflanzt hat, und sammelt, was er nicht angebaut hat. Ich hatte Angst, dein Geld zu verlieren, also vergrub ich es in der Erde. Hier ist es´ Aber der Herr erwiderte: `Du böser, fauler Diener! Du hältst mich für einen strengen Mann, der erntet, was er nicht gepflanzt hat, und der sammelt, was er nicht angebaut hat? Du hättest wenigstens mein Geld zur Bank bringen können, dann hätte ich immerhin noch Zinsen dafür bekommen. Nehmt diesem Diener das Geld weg und gebt es dem mit den zehn Beuteln Gold. Wer das, was ihm anvertraut ist, gut verwendet, dem wird noch mehr gegeben, und er wird im Überfluss haben. Wer aber untreu ist, dem wird noch das wenige, das er besitzt, genommen. Und nun werft diesen nutzlosen Diener hinaus in die Dunkelheit, wo Weinen und Zähneknirschen herrschen.´
Matthäus 25, 24-30

Warum entmutigt uns dieses Gleichnis? Ich glaube, wir wissen nicht, worum es in diesem Gleichnis geht. Du hältst mich für einen strengen Mann, der erntet, was er nicht gepflanzt hat, und der sammelt, was er nicht angebaut hat? Sein Knecht hatte Angst vor der Reaktion seines Herrn, falls er versagen würde. Deshalb vergrub er alles, was ihm sein Herr anvertraut hatte in mühevoller Arbeit. Obwohl sein Herr ihm seinen Fähigkeiten entsprechend genug anvertraut hatte (Vers 15), vergrub er es. Sein Herr hatte Vertrauen in ihn. Wenn wir denken, dass Jesus ein strenger Mann ist, wird uns die Angst vor seiner Reaktion auf unser Versagen lähmen und wir werden nichts für ihn tun. Ich frage mich, ob der Knecht seinen Herrn überhaupt kannte, oder ob er eine verdrehte Sicht von ihm hatte. Und obwohl der Knecht ihn für streng hielt, trug er das Geld nicht einmal zur Bank. Ich glaube, dass ich diesem Knecht sehr ähnlich bin.