Gnade versus Unzulänglichkeit (3.2)

Preist den HERRN, denn er ist gut. Denn seine Gnade währt ewig! 
Psalm 136,1

"Ich habe wunderschöne, von Menschen angelegte Gärten gesehen, die mich total begeistert haben - ein von Gott geschaffener Garten muss atemberaubend gewesen sein.", schreibt Mike Genung in seinem Buch Mein Weg zur Heilung. "Adam und Eva hatten 'allerlei Bäume ... lieblich anzusehen und gut zu essen'. Da mussten eigenartige Blumen mit üppigem, grünen Blattwerk existieren, majestätische Bäume voll von bunten Vögeln, köstliche, exotische Fruchtbäume und herzhaftes Gemüse. Der Klang des rauschenden Wassers von dem Fluss, der in Eden entsprang, musste im größten Teil des Gartens zu hören gewesen sein, begleitet von den Liedern der Vögel und anderer Tiere. Das muss ein fröhliches Leben gewesen sein, als würde man in Maui oder Tahiti leben - ohne die hohen kosten.
    Adam und Eva konnten dazu den unglaublichen Segen des beständigen Gegenwart Gottes genießen. In 1. Mose 3,8 lesen wir, dass sie 'hörten, wie Gott der Herr in der Abendkühle im Garten wandelte'. (Schade, das war, nachdem sie es vermasselt hatten.) Offenbar unternahmen sie am späten Nachmittag Spaziergänge mit dem Herrn. Er genoss es, Zeit mit Seiner Schöpfung zu verbringen.
    Von Anfang an überschüttete Gott Adam und Eva mit Segnungen. Vor dem Fall gab es keine Krankheit, Sorge, Angst, keinen Schmerz oder Tod. Für alle ihre Bedürfnisse wurde in überfließender Pracht gesorgt. Gottes Handeln offenbarte Sein Verlangen, Seine Schöpfung mit dem Besten zu segnen, das Er zu bieten hatte - das schließt die Freude an Seiner Gegenwart ein.
    Dann sündigten Adam und Eva, indem sie Früchte von dem einen Baum im Garten aßen, vom dem Gott gesagt, hatte, sie sollten nicht davon essen. Nachdem Er sie mit dem Besten überschüttet hatte und sie dann sündigen sah, hätte Gott sagen können: "Also, Adam und Eva, Version 1 hat nicht funktioniert, löschen wir beide und probieren wir es mit Version 2."
    Aber das tat Er nicht. Obwohl Adam und Eva die Konsequenzen ihres Handelns ernteten, fuhr Gott damit fort, ihnen Seine 'göttliche Liebe und Seinen Schutz frei zu gewähren'. Seine erste Handlung bestand darin, sie zu bekleiden, wozu Er ein Tier tötete. Gottes Gnade, Seine 'Gunst, die von einem gewährt wird, der sie nicht geben muss', hörte nicht auf, nachdem sie gesündigt hatten."


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Vom HERRN her werden eines Mannes Schritte gefestigt, und seinen Weg hat er gern; fällt er, so wird er doch nicht hingestreckt, denn der HERR stützt seine Hand. 
Psalm 37, 23.24


Nachdem Kain seinen Bruder Abel erschlagen hatte, war seine Antwort auf Gottes Frage "Wo ist dein Bruder?" ziemlich barsch: "Ich weiß nicht. Bin ich meines Bruders Hüter?" (1. Mose 4,9). Nicht nur, das er seinen Bruder ermordet hat - scheinbar ist es ihm auch gleichgültig. Ich könnte Gott verstehen, wenn er Kain endgültig zum Teufel jagen würde. Aber das tat er nicht:
Und er sprach: Was hast du getan! Horch! Das Blut deines Bruders schreit zu mir vom Ackerboden her. Und nun, verflucht seist du von dem Ackerboden hinweg, der seinen Mund aufgerissen hat, das Blut deines Bruders von deiner Hand zu empfangen! Wenn du den Ackerboden bebaust, soll er dir nicht länger seine Kraft geben; unstet und flüchtig sollst du sein auf der Erde! Da sagte Kain zu dem HERRN: Zu groß ist meine Strafe, als dass ich sie tragen könnte. Siehe, du hast mich heute von der Fläche des Ackerbodens vertrieben, und vor deinem Angesicht muss ich mich verbergen und werde unstet und flüchtig sein auf der Erde; und es wird geschehen: Jeder, der mich findet, wird mich erschlagen. Der HERR aber sprach zu ihm: Nicht so, jeder, der Kain erschlägt - siebenfach soll er gerächt werden! Und der HERR machte an Kain ein Zeichen, damit ihn nicht jeder erschlüge, der ihn fände. So ging Kain weg vom Angesicht des HERRN und wohnte im Land Nod, östlich von Eden. Und Kain erkannte seine Frau, und sie wurde schwanger und gebar Henoch. Und er wurde der Erbauer einer Stadt und benannte die Stadt nach dem Namen seines Sohnes Henoch.
1. Mose 4, 10-17

Obwohl die Folgen von Kains Sünde schwerwiegend waren, hörte Gott nicht auf, Kain zu segnen. Er versorgten ihn mit Schutz vor Verfolgern, er schenkte ihm einen Sohn, er wurde der Erbauer einer Stadt. Er hätte den Tod verdient, aber stattdessen erhielt er Schutz und eine gesegnete Zukunft.


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So sprich zu ihnen: So wahr ich lebe, spricht Gott der HERR: Ich habe kein Gefallen am Tode des Gottlosen, sondern dass der Gottlose umkehre von seinem Wege und lebe. So kehrt nun um von euren bösen Wegen. Warum wollt ihr sterben, ihr vom Hause Israel?
Hesekiel 33, 11


Sodom war durchsetzt von Perversion und Bosheit. Über diese Stadt gab es wirklich nichts Gutes zu sagen. Sodom war von Grund auf verdorben und die Stadt zu verschonen, hätte das Risiko bedeutet, dass noch mehr Menschen in ihren Bann gezogen und auf denselben Weg der Zerstörung herabgezogen werden würden. Es gab keine Hoffnung, dass sich ihre Bewohner vom Elend ihrer Sünden abwenden würden. Und nicht einmal hier hörte Gottes Gnade auf:

(1) Er ließ sich von Abraham bitten, die Stadt zu verschonen.
(2) Er war bereit, die Stadt um zehn Personen willen zu verschonen, die nicht so lebten, wie die Bewohner von Sodom.
(3) Er schenkte Lots gesamter Familie Gnade und verschonte sie vor der Zerstörung der Stadt (bis auf Lots Frau, die das Angebot nicht annahm).
(4) Die Zerstörung Sodoms rettete andere davor, verdorben zu werden.
(5) Obwohl Sodom Lots Töchter so weit verdorben hatte, dass sie aus Angst vor fehlenden Nachkommen mit ihrem Vater Kinder zeugten, machte Gott ihrer beider Söhne zu Stammvätern zweier Nationen (Moab und Ammon), obwohl beide später mit Israel verfeindet waren. Ruth, die Moabitern, wurde sogar ein Teil des Stammbaums Jesu.

Obwohl wir darüber nichts in der Schrift lesen, wäre ich nicht überrascht, wenn der Herr bei der Zerstörung Sodoms geweint hätte. - Mike Genung

Dieser Gedanke ist gar nicht so abwegig, wenn wir uns die Reaktion von Jesus ansehen, als er über die bevorstehende Zerstörung Jerusalems weinte:

Und als er sich näherte und die Stadt sah, weinte er über sie und sprach: Wenn auch du an diesem Tag erkannt hättest, was zum Frieden dient! Jetzt aber ist es vor deinen Augen verborgen. Denn Tage werden über dich kommen, da werden deine Feinde einen Wall um dich aufschütten und dich umzingeln und dich von allen Seiten einengen; und sie werden dich und deine Kinder in dir zu Boden werfen und werden in dir nicht einen Stein auf dem anderen lassen, dafür, dass du die Zeit deiner Heimsuchung nicht erkannt hast.
Lukas 19, 41-44

Ich dachte immer, dass Gottes Zorn ganz einfach nur Zorn ist. Aber haben wir uns jemals gefragt, ob Gott nicht jedesmal, wenn er zornig ist, auch furchtbar traurig ist? Lies einmal folgende Stelle ohne einen Funken Mitgefühl:

Und das Schwert wird kreisen in seinen Städten und seinen Schwätzern ein Ende machen, und es wird fressen wegen ihrer Ratschläge. Aber mein Volk bleibt verstrickt in die Abkehr von mir. Und ruft man es nach oben, bringt man es doch insgesamt nicht dazu, sich zu erheben. - Hosea 11, 6.7
Der Vers, der danach kommt, lässt aber einen ganz anderen Gott erkennen:
Wie sollte ich dich preisgeben, Ephraim, wie sollte ich dich ausliefern, Israel? Wie könnte ich dich preisgeben wie Adma, dich Zebojim gleichmachen? Mein Herz kehrt sich in mir um, ganz und gar erregt ist all mein Mitleid. - Hosea 11,8

Gottes Zorn ist niemals kalt und ohne Mitgefühl. Selbst in seinem Zorn, brennt in ihm der sehnliche Wunsch, sein Volk zu segnen und zu heilen, denn seine Gnade währt ewig. Sein Wunsch, seine Schöpfung zu segnen, hört zu keinem Zeitpunkt auf - wie könnte er da anders, als zu weinen, wenn er sein Gericht ankündigen muss?


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Und was soll ich noch mehr sagen? Die Zeit würde mir zu kurz, wenn ich erzählen sollte von Gideon und Barak und Simson und Jeftah und David und Samuel und den Propheten.
Hebräer 11, 32


Welche Geschichte wir auch betrachten, Gottes Gnade hört niemals auf, und sein Wille, seine Schöpfung zu segnen, hat kein Ende. Theoretisch könnten wir also ohne Ende von Gottes Segnungen erzählen. Von einem Propheten würde ich aber gerne noch erzählen. Es ist ein Ausschnitt der Geschichte Daniels. 

Kurz vor dem Jahr 600 v.Chr. wird Daniel nach Babylonien deportiert. Wie von Jeremia angekündigt, sollte Jerusalem von den Babyloniern zerstört werden und 70 Jahre in Trümmern liegen. Psalm 137 erzählt das Leid der Israeliten in Gefangenschaft:

An den Flüssen von Babylon saßen wir und weinten, wenn wir an Zion dachten. An die Weiden dort hängten wir unsere Zithern. Die uns gefangen hielten, forderten von uns, eines unserer Lieder zu singen, unsere Peiniger verlangten von uns, fröhlich zu sein: »Singt uns eines eurer Zionslieder!« Doch wie könnten wir ein Lied für den Herrn auf fremdem Boden singen? Jerusalem, wenn ich dich je vergesse, dann soll meine rechte Hand mir ihren Dienst versagen! Meine Zunge soll mir am Gaumen kleben, wenn ich nicht mehr an dich denke, wenn Jerusalem nicht mehr meine allergrößte Freude ist! - Psalm 137, 1-6

Nach knapp 50 Jahren in babylonischer Gefangenschaft, nach 50 Jahren Funkstille zwischen Gott und seinem Volk, als Drangsal und Gelächter durch die Babylonier schon längst zum Alltag geworden waren, könnte man vermuten, dass die meisten Israeliten die Hoffnung aufgegeben hatten, Jerusalem jemals wiederzusehen. Aber es gab jemanden, der sich mitten in der Hoffnungslosigkeit an Gottes Zusagen erinnerte: 
Im ersten Jahr des Darius, des Sohnes des Ahasveros, vom Geschlecht der Meder, der über das Reich der Chaldäer König geworden war, im ersten Jahr seiner Königsherrschaft achtete ich, Daniel, in den Bücherrollen auf die Zahl der Jahre, über die das Wort des HERRN zum Propheten Jeremia geschehen war, dass nämlich siebzig Jahre über den Trümmern Jerusalems dahingehen sollten. Und ich richtete mein Gesicht zu Gott, dem Herrn, hin, um ihn mit Gebet und Flehen zu suchen, in Fasten und Sack und Asche. - Daniel 9, 1-3

Ich sehe Daniel praktisch vor mir, wie die Sehnsucht nach Jerusalem in diesem Moment in ihm hochgestiegen sein musste und er anfängt, ein gewaltiges Bußgebet zu sprechen, voller Ergriffenheit über seine Schuld und die Schuld des Volkes (Daniel 9, 4-19; es lohnt sich wirklich, dieses Gebet zu lesen). 
Während ich noch redete und betete und meine Sünde und die Sünde meines Volkes Israel bekannte und mein Flehen für den heiligen Berg meines Gottes vor den HERRN, meinen Gott, hinlegte - und während ich noch redete im Gebet, da, zur Zeit des Abendopfers, rührte mich der Mann Gabriel an, den ich am Anfang in der Vision gesehen hatte, als ich ganz ermattet war. Und er wusste Bescheid, redete mit mir und sagte: Daniel, jetzt bin ich ausgegangen, um dich Verständnis zu lehren. Am Anfang deines Flehens ist ein Wort ergangen, und ich bin gekommen, um es dir mitzuteilen. Denn du bist ein Vielgeliebter. - Daniel 4, 20-23a

Daniel stand zu seiner Unzulänglichkeit und dem Versagen seines Volkes. In diesem Moment tiefer Demut und flehendem Verlangen nach Gott, wird er erhört! 

Hier liegt der Schlüssel, wie wir die Angst vor unserem Versagen überwinden können: Indem wir vor Gott zu unserer Schwachheit stehen. Das können wir nur, wenn wir wissen, wie Gott reagieren wird. Und wir dürfen wissen, dass seine Gnade niemals aufhört:

Und er sprach zu mir: Daniel, du vielgeliebter Mann! Achte auf die Worte, die ich zu dir rede, und steh an deinem Platz! Denn ich bin jetzt zu dir gesandt. Und als er dieses Wort mit mir redete, stand ich zitternd auf. Und er sprach zu mir: Fürchte dich nicht, Daniel! Denn vom ersten Tag an, als du dein Herz darauf gerichtet hast, Verständnis zu erlangen und dich vor deinem Gott zu demütigen, sind deine Worte erhört worden. Und um deiner Worte willen bin ich gekommen. - Daniel 10, 11.12